Wie war das eigentlich damals mit der Vectrex?

In der Zeitschrift „Video Games“ erschien 1993 anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Fragen und AntwortenVectrex ein sehr gut geschriebener Artikel. Die damaligen Rahmenbedingungen, der holprige Aufstieg und frühe Untergang der Vectrex sind darin anschaulich und aus meiner Sicht korrekt beschrieben. Nachfolgend ein Auszug des vierseitigen Artikels – besser kann ich die Lebensgeschichte der Vectrex kaum erzählen.

Die Vectrex-Story  Quelle: Video Games, Heft 10/1993

„[…] Anfang der 80’er Jahre wurde der Videospielemarkt noch nicht von den Japanern beherrscht. Wie die meisten Videospielprodukte von damals, hatte auch der Vectrex seinen Ursprung in den USA: Seine Geschichte begann Ende der 1980 bei Western Technologies, einer kalifornischen Forschungs- und Entwicklungsfirma auf dem Spielesektor, die auch heute noch mit dem Spiel X-Men und dem „Menacer“-Bildschirmgewehr für Segas Mega Drive erfolgreich ist. Jay Smith, der Firmenchef und seine talentierten Mitarbeiter hatten damals die Idee zu einem kleinen, auf Vertorgrafik basierendem Tischgerät mit einer 5-Zoll-Bildröhre, das sie „Mini Arcade“ nannten. Dieses Gerät sollte zwar noch anders aussehen als das Vectrex, war ihm aber von der Funktionsweise her bereits sehr ähnlich. Im Frühjahr 1981 wurde diese Idee der Firma Kenner angeboten, bekannt durch ihre Spielzeugpuppen und -figuren zu „Star Wars“ und „Batman“. Kenner lehnte jedoch den Vertrieb im Juli desselben Jahres ab.

Im Spätsommer 1981 fand sich dann endlich ein Lizenznehmer für das Vectrex-Konzept: Es war der Chef von GCE (General Consumers Electronics), Ed Krakauer, der das große Potential des Vectrex-Systems erkannte. GCE war begeistert von den Eigenschaften des Vectrex, verlangte aber, dass der Bildschirm auf 9 Zoll vergrößert werden sollte, um die Attraktivität noch zu erhöhen. In den darauffolgenden Monaten wurde bei Western Technologies hart gearbeitet: Der Zeitplan sah vor, dass die Hardware zusammen mit den ersten zwölf Spielen bis spätestens Juni 1982 fertiggestellt sein sollte. John Ross, der Hardwareentwickler, die Programmierer des System ROMs (Gerry Karr und John Hall) und die Autoren der ersten drei Spiele hatten hierbei besonders viel zu tun: Problematisch war für die Programmierer Paul Newell, Mark Indictor und John Hall, dass sich zu Beginn der Entwicklung die Hardware dauernd änderte. So war es anfangs statt des letztendlich verwendeten 6809-Prozessors ein 6502 vorgesehen (derselbe Prozessor wie im NES und Lynx), der sich allerdings als zu langsam herausstellte.

Allen Widrigkeiten zum Trotz aber konnte der Vectrex auf der Sommer-CES in Chicago im Juni 1982 zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die Massenproduktion begann im Spätsommer 1982 und GCE sorgte dafür, dass die Geräte rechtzeitig zu Weihnachten 1982 auf den Gabentischen stehen konnten. Der Einführungspreis lag bei rund 200 Dollar. Das Medienecho war sehr positiv: Scramble beispielsweise erhielt im Januar 1983 in der wichtigsten amerikanischen Spielezeitschrift „Electronic Games“ den begehrten „Arcade Award“ für das beste „Mini Arcade“-Spiel verliehen, einer Kategorie, die eigens für den Vectrex eingerichtet worden war. Auch in allen anderen Zeitschriften wurde der Vectrex begeistert aufgenommen, er wurde als der „King of the Stand-Alones“ bezeichnet. Sogar der Playboy nannte ihn „schnell, herausfordernd und stimulierend“. 1983 war das große Jahr des Vectrex: Bei Western Technologies und GCE wurden viele Spiele programmiert und man werkelte an interessantem Zubehör. Zeitweise waren über 30 Personen am Vectrex-Projekt beteiligt. GCE stellte auch einige der Programmierer, die vorher direkt für Western Technologies gearbeitet hatten, bei sich ein. Einer von ihnen, Mark Indictor, der Autor von Star Trek, Spinball, Polar Rescue und anderen Programmen, konnte mit seiner Familie in die Berge in der Nähe von Los Angeles ziehen und inmitten eines Pinienwaldes in einer Hütte Spiele programmieren. Es entstanden im Laufe jenes Jahres auch noch der Lightpen und die 3D-Brille. Sogar an einer Farbversion des Vectrex und einem Computer-Keyboard mit BASIC-Modul wurde gearbeitet, zur Serienreife gelangte allerdings keines von beiden.

Im Frühjahr 1983 wurde GCE von MB (Milton Bradley), bekannt durch Brett- und Gesellschaftsspiele, übernommen. Im Zuge dessen gelangte der Vectrex im Sommer jenen Jahres endlich nach Deutschland und das übrige Westeuropa. Zugleich erschienen hier alle bis dahin in den USA vorhandenen Spiele, als Zubehör war anfangs jedoch nur der zweite Controller erhältlich. Leider war dem Vectrex zu diesem späten Zeitpunkt bei uns kein durchschlagender Erfolg mehr beschieden — trotz seiner von allen Seiten gelobten Fähigkeiten: Der Markt war fest im Griff des (damaligen) Videospielgiganten Atari mit seinem VCS 2600. Mattels Intellivision und das CBS Colecovision waren bereits etabliert. Der wichtigste Grund aber war die Invasion der Homecomputer — bei uns insbesondere der VC20 und C64 von Commodore, die auch auf dem Videospielesektor für gewaltige Veränderungen sorgten. Auf den technisch vielen Videospielen überlegenen Homecomputern gab es nicht nur qualitativ hochwertige Spiele (die auf dem Schulhof „getauscht“ werden konnten). Auch die Möglichkeit, selbst (Spiel-) Programme schreiben zu können, war damals „in“. So war es dann auch kein Wunder, dass der Vectrex trotz massiver Werbekampagnen seitens MB während des Weihnachtsgeschäfts 1983 weder in den USA noch in Europa einen ermutigenden Erfolg verbuchen konnte. Der Vectrex war zwar nicht das einzige vom Homecomputer-Syndrom betroffene Videospielesystem, doch eine solche Schlappe kurz nach einer Markteinführung konnte nichts Gutes verheißen. Im Frühjahr 1984 wurden zwar noch die aktuellsten Spiele (Pole Position, Polar Rescue, Star Castle) und der Lichtgriffel mit seinen Programmen auf der Nürnberger Spielwarenmesse gezeigt. Der 3D-Imager, in den USA auf der Winter-CES ’84 in Las Vegas vorgestellt und in Deutschland bereits in Prospekten von MB angekündigt, schaffte den Sprung über den Atlantik nicht mehr.

Das Ende des Vectrex

Im Zuge des Aufkaufs von MB durch Hasbro Inc., eine der wichtigsten Gesellschaften auf dem amerikanischen Spielzeugmarkt, wurde die Produktion des Vectrex Anfang 1984 langsam eingestellt. Mitte März 1984 kam dann die Hiobsbotschaft von MB Deutschland in Fürth, dass der Verkauf des Vectrex zum 31. März beendet würde. Der Rest war ein trauriges Kapitel von Ramschverkäufen, vornehmlich in den Warenhäusern der Metro-Kette. Ein unwürdiger Tod für einen solchen Videospiel-Veteranen. Western Technologies versuchte allerdings 1988 den Vectrex wieder auferstehen zu lassen — als Handheld. Er sollte mit einer flachen Bildröhre von Sinclair ausgerüstet werden, die wenig Strom verbrauchte und einen schnellen Bildaufbau ermöglichen sollte. Leider wurde diese Idee wieder aufgegeben, als sich der überwältigende Erfolg von Nintendos Game Boy abzeichnete. Auch heute noch gibt es in den USA und Europa eine kleine, aber wackere Schar von aktiven Vectrex-Fans, die sich die Erinnerung an die „guten alten Tage der Videospiele“ warmhalten und in reger Kommunikation stehen. Nicht zuletzt die außergewöhnliche Vektorgrafik des Vectrex lädt auch heute noch, im Zeitalter der 16 bit-Konsolen und der Megabit-Spiele, zu unterhaltsamem Videospielen ein. […]“

 

2 Gedanken zu „Wie war das eigentlich damals mit der Vectrex?

  1. Danke für den Artikel! Hat sich ja nicht viel geändert „Auch heute noch gibt es in den USA und Europa eine kleine, aber wackere Schar von aktiven Vectrex-Fans, die sich die Erinnerung an die “guten alten Tage der Videospiele” warmhalten und in reger Kommunikation stehen.“ 🙂

    • Ja, richtig, viel geändert hat sich in den 20 Jahren nicht. Gegenüber 1993 dürfte die Schar der Vectrex-Fans allerdings nochmals kleiner geworden sein. Wir rücken jetzt halt alle enger zusammen, dann haben wir’s immer noch warm und gemütlich. 😉

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